Zwei Gefahren, die jedes Softwareprojekt bedrohen:
- Das Projekt steht im ständigen Wettbewerb mit jeder anderen „guten“ Idee, die die Geschäftsleitung hat. Deshalb besteht immer die Gefahr, dass dein Projekt gestrichen oder gekürzt wird, damit die Ressourcen umverteilt werden können.
- Neue Projekte stehen im ständigen Wettbewerb mit den Folgekosten der bestehenden Entwicklung. Jede Funktion, die entwickelt wurde, produziert laufende Kosten. Sie muss weiterhin jedes neue Betriebssystem und jede Browserversion unterstützen. Supportanfragen für das Feature müssen beantwortet werden. Schulungsmaterialien müssen um häufige Fragen ergänzt werden. Und neue Mitarbeiter des Vertriebs- und Marketingteams müssen geschult werden.
Was kannst du tun, wenn du befürchten musst, dass deine finanziellen Mittel jeden Moment für eine neue „geniale“ Idee eines anderen aufgebraucht werden? Was kannst du tun, wenn ein Großteil deines Projektbudgets für die Wartung und den Betrieb der bestehenden Features draufgeht?
Dir bleibt nur eine Möglichkeit: Du setzt Prioritäten, um die Dinge zu erledigen, die wirklichen Mehrwert für die Nutzer des Produkts versprechen.
Das ist das Konzept eines Product Backlogs.
Eine sich stets wandelnde Liste von Änderungen, die am Produkt erledigt werden müssen, um das Produkt-Ziel zu erreichen.
Mit einem Product Backlog arbeitest du stets nach dem Mantra:
Ich gehe immer davon aus, dass ich die Arbeit jederzeit abbrechen muss, deshalb konzentriere ich mich auf das, was Wert verspricht.
Falls du dich jetzt fragst: Wie schaffe ich es, das Backlog mit vielen, vielen Einträgen auf die wenigen wichtigen zu reduzieren? Auf die Einträge, die wirklich Nutzen versprechen? Auf die Features, durch die ich bei Kunden und Kollegen in Erinnerung bleiben will? Und das alles, ohne die nächsten Wochen in endlosen Abstimmungsmeetings zu verbringen.
Du solltest Prioritäten setzen. Lies weiter, dann erfährst du, wie du eine Kano-Analyse der Features im Product Backlog durchführst. So kannst du die Features priorisieren, die wahrscheinlich zu einer hohen Zufriedenheit der Kunden führen.
Wenn du tiefer ins Management des Product Backlogs eintauchen willst, dann empfehle ich dir den Besuch des PSPBS-Trainings. Das ist der Einstiegskurs zum Product-Backlog-Management – speziell für Product Owner und alle, die sie coachen wollen!
Das Kano-Modell für Kundenzufriedenheit
Der gängige Weg, die Kundenbindung zu verbessern, besteht darin, mehr Features zu entwickeln.
Diesen Zusammenhang können wir uns als Diagonale im folgenden Diagramm veranschaulichen.
Hier beschreibt die horizontale Skala die Funktionalität:
- Keine
- Einige
- Grundlegende
- Gute
- Beste
Die vertikale Skala beschreibt die Kundenzufriedenheit:
- Frustriert
- Unzufrieden
- Neutral
- Zufrieden
- Erfreut
Die Prämisse lautet also: Die Leistung eines Produkts steht in direktem Zusammenhang mit dessen Funktionalität. Ein höheres Funktionslevel eines Features resultiert in einer höheren Zufriedenheit der Kunden.
Gibt es noch andere Möglichkeiten, die Kundenbindung zu steigern?
Dr. Noriaki Kano, Professor für Qualitätsmanagement an der Tokyo University of Science, stellte sich diese Frage und fand heraus, dass die Kundenbindung von der emotionalen Reaktion auf das Feature abhängt.
Er definierte fünf emotionale Reaktionen auf ein Feature:
- „Must-have“-Feature
- Leistungs-Feature
- Begeisterungs-Feature
- Unerheblichen Features
- Zurückweisende Features
Diese Reaktionen lassen sich auch als weitere Kurven im Diagramm einzeichnen:
- „Must-Have“-Features: So grundlegende Funktionen, dass sie den Nutzern erst bewusst werden, wenn sie fehlen. Werden die Grundanforderungen nicht erfüllt, entsteht Unzufriedenheit. Werden sie erfüllt, entsteht jedoch keine Zufriedenheit.
- Leistungs-Features: Die Nutzer sind sich der Funktion bewusst. Sie beseitigen Unzufriedenheit oder schaffen Zufriedenheit, abhängig vom Ausmaß der Erfüllung.
- Begeisterungs-Features: Diese Funktionen bieten Nutzen, mit dem der Nutzer nicht rechnet. Sie heben das Produkt gegenüber der Konkurrenz hervor und rufen Begeisterung hervor.
- Unerhebliche Features: Sowohl bei Vorhandensein als auch bei Fehlen ohne Belang für den Kunden. Diese Kurve entspricht der vertikalen Achse.
- Zurückweisende Features: Führen bei Vorhandensein zu Unzufriedenheit, bei Fehlen jedoch nicht zu mehr Zufriedenheit des Kunden.
Mit diesen Kurven können wir die Features eines Produkts in Kategorien einteilen. Betrachten wir dazu das erste iPhone, das seinen Verkaufsstart in Deutschland am 29. Juni 2007 hatte.
- „Must-Have“-Features: telefonieren, SMS schreiben und empfangen, Kontakte verwalten
- Leistungs-Features: Internetbrowser, Musik-Player und Kamera
- Begeisterungs-Features: Multi-Touch-Bedienung, App Store (wurde erst ein Jahr nach der Veröffentlichung eingeführt) und Apples Ökosystem
- Unerhebliche Features: Aktien-App, integrierte Taschenlampe, Uhr und Wecker
- Zurückweisende Features: fehlendes 3G, keine „Kopieren und Einfügen“-Funktion und keine Möglichkeit zur Speichererweiterung
Die Einteilung der Features in die fünf emotionalen Reaktionen hilft, die Features im Product Backlog zu priorisieren. Die Arbeit mit dem Kano-Modell ist am effektivsten, wenn wir versuchen, Prioritäten basierend auf der tatsächlichen Wertwahrnehmung der Kunden zu setzen.
Wahrnehmung ist hier das Schlüsselwort.
Die Anwendung des Kano-Modells setzt voraus, dass wir die Kunden und deren Bedürfnisse gut kennen. Und dabei hilft uns die Kano-Analyse.
Die Kano-Analyse für die Features des Produkts
Bei der Kano-Analyse verwenden wir zwei einfache Fragen.
Durch die Antworten auf diese Fragen erhalten wir Rückmeldungen der Kunden, die wir verwenden können, um die emotionale Reaktion auf ein Feature zu bestimmen. Die Befragung bietet uns die Möglichkeit, Meinungen auf quantifizierbare Weise zu messen. Kano hat hierzu eine bipolare Befragung entwickelt. Die bipolare Skala reduziert die „Neigung zur Mitte“ bei der Beantwortung der Fragen und ermöglicht somit eine bessere Interpretierbarkeit der Resultate.
Die Kunden beantworten die Fragen jeweils in Bezug auf ein Feature des Produkts.
Feature vorhanden
- Was würden Sie sagen, wenn das Produkt über … verfügte?
- Was würden Sie sagen, wenn es mehr … gäbe?
Feature abwesend
- Was würden Sie sagen, wenn das Produkt nicht über … verfügte?
- Was würden Sie sagen, wenn es weniger … gäbe?
Damit ergibt sich folgende Befragung:
Anhand der Antworten können wir herausfinden, welche der fünf emotionalen Reaktionen am ehesten mit jedem untersuchten Feature übereinstimmen. Dazu betrachten wir die Kombination der Antworten, um zu sehen, wie sie in dieser Tabelle abschneiden. Hierbei beschreiben die Spalten, dass das Feature nicht vorhanden ist und die Zeilen, dass das Feature vorhanden ist:
Die Befragung können wir hierbei in einem Interview oder als Umfrage machen. Bei vielen Features bietet sich eine Umfrage unter den Kunden an, da wir mehr Kunden gleichzeitig befragen können. Für die Analyse der Daten gibt es viele hilfreiche Templates. Etwa das kostenlose Kano-Analyse-Template von Conjointly.
Die Analyse der Daten ermöglichte es nun, das Backlog zu priorisieren.
Die Priorisierung des Product Backlogs
Das Ergebnis einer Kano-Analyse mit zehn Features könnte etwa so aussehen:
Bei der Priorisierung des Product Backlogs sollten nun Basis-, Leistungs- und Begeisterungs-Features berücksichtigt werden. Unlogische, unerhebliche oder zurückweisende Features sollten vermieden werden.
Die Vorteile dieser Art der Priorisierung des Product Backlogs liegen auf der Hand:
- Diese Priorisierungsmethode funktioniert nicht nur für Backlogs mit 10 Einträgen, sondern skaliert auch für Backlogs mit mehr als 100 Einträgen.
- Da sich die Umfrage und Auswertung leicht automatisieren lassen, kann ein Backlog fast automatisch priorisiert werden. Dadurch muss weniger Zeit in Abstimmungsmeetings verschwendet werden.
- Da die Kano-Analyse die Kundenzufriedenheit in den Vordergrund stellt, ist diese ein großer Garant für den Erfolg des Produkts. Denn: Ein Produkt ist nur erfolgreich, wenn die Kunden zufrieden sind.
- Für die finale Ordnung des Product Backlogs bleibt nur noch die Frage zu klären, welche Kombination aus Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfeatures am meisten dabei hilft, das nächste Produkt-Ziel zu erreichen.